Mittwoch, Januar 07, 2009

Reaching India

Die Sonne geht auf über den Wolken, ich switche das Entertainmentsystem auf die vordere On-Board-Cam und genieße die Aussicht. Alex ist derweil neben mir eingeschlafen und bekommt nicht mal mit, wie ich ihm die Kopfhörer von den Ohren ziehe, als eine Stewardess zum Einsammeln kommt. Das Bild schläfert allerdings sogar mich ein und so erlebe ich die Landung am Bombay Airport ebenfalls im Dämmerzustand. Ich bin müde und fühle mich so alt wie die Welt. Der Bombay International Airport ist under construction, wie man so schön sagt, also eine Baustelle. Wäre sonst nix neues, aber man sieht tatsächlich, wie es später aussehen soll, es finden sich Teppiche auf dem Boden und merkwürdigerweise hängen an den Wänden anstatt Feuermeldern oder Feuerlöschern alle paar Meter weiße Kästen von Philips mit Maschinen zur Wiederbelebung nach Herzattacken. ?! Sehr merkwürdig.
An jeder Ecke lungern Polizisten herum (Alex hält sie aufgrund der khakifarbenen Uniformen zunächst für Militär), so dass ich mich nicht traue, auf dem Flughafen Photos zu machen. Es sind Leute schon für weniger verhaftet worden und mein Koffer enthält wertvolle Fracht.
Noch während des Fluges mussten wir einen Zettel ausfüllen - wer wir sind, wie unsere Visa-Nr. lautet, wo wir in Indien wohnen werden, weshalb wir eigentlich nach Indien reisen - und ganz neu wird tatsächlich gefragt, ob wir Lebensmittel dabei haben, Fleisch, Milchprodukte, Früchte oder Gemüse. Hm? Was sag ich nun? Die Wahrheit? Dann lassen sie mich vielleicht nicht einreisen. Oder ich kann den Kram gleich am Flughafen vernichten lassen. Alle Sachen sind vakuumverschweißt und ich entscheide mich zu schwindeln. Keine schlafenden Hunde wecken.
Wir landen am Zollschalter, für mich als Kind die absolute Horrorvision. Hier sassen grundsätzlich die übel gelauntesten Menschen von ganz Indien, die sich mitten in der Nacht mit ebenfalls übel gelaunten Touristen herumschlagen mussten. Mein Vater musste mal seine ganzen Sachen herausräumen um seine Brille zu finden - weil auf seinem Paßbild eine Brille abgebildet war.
Wider Erwarten ist unser Zollmensch sehr freundlich, er lächelt sogar ein wenig! Er fragt uns aus, welche Orte wir planen zu besuchen und warum wir eigentlich da sind. Ich antworte brav, dass wir meine Familie besuchen wollen und dann einige Tage in Goa an den Strand wollen. Als ich den Wohnort meiner Familie nenne, korrigiert er mich freundlich lächelnd (Pah!) aber das ist mir dann auch egal, wir wollen nur raus hier.
Am Förderband schnappen wir uns ein Wägelchen und unser Gepäck. Alex will einmal rund ums Förderband rennen, weil da ein freier Platz ist, aber ich bin geschult im "darf ich mal durch" und drängle mich durch die Reihen, als ich unsere Koffer sehe. Wie erwartet, öffnet sich die Gruppe, die Menschen in der ersten Reihe helfen mir, die Koffer vom Förderband zu hieven und sofort schließt sich der Menschenring am Förderband wieder.
Ab zur gefürchteten Gepäck-Durchleuchtungs-und-evtl.-Auspack-Station. Auch diese Station kenne ich, weil meine Eltern in meiner Kindheit oft den Koffer öffnen und ausräumen mussten. Selbstverständlich ging der danach nicht mehr richtig zu und musste mit AirIndia-Tape-Band zugeklebt werden. Ich glaube, der alte Koffer liegt immer noch irgendwo im Keller.
Innerlich bibbernd stelle ich all unsere Sachen auf das Förderband, sehe links von uns schon den freien Platz zum entleeren der Koffer. Aber alles geht glatt, wir dürfen unser Zeugs mitnehmen. Nur noch eine Hürde - der Mann am Eingang, der den Handgepäck/Anzahl der Gepäckstücke/Haben-Sie-Wurst/Käse-etc.-dabei - Abschnitt des Zettels haben will. Doch der ist damit beschäftigt, einigen Indern zu erzählen, dass sie ohne Ausfüllen des Abschnitts nicht durch die Tür raus dürfen und sammelt unsere Abschnitte ein, ohne einen Blick darauf zu werfen. Wir sind draussen!

Morgens um acht ist die Luft in Bombay angenehm warm, die Luftfeuchtigkeit ein wenig höher als zu Hause. Allerdings meldet sich meine schon in Deutschland schlecht auskurierte Erkältung wieder und ich huste wie verrückt. Zwei meiner Onkel stehen schon draussen, winken fleißig und stecken uns und unsere Koffer je in ein Auto. Alex steigt bei Paul ein, den er schon von der Hochzeit meiner Cousine in Deutschland kennt, ich fahre mit Naresh, bei dem wir die kommenden Tage wohnen werden. Die Familie eben genannter Cousine ist gerade erst seit 2 Tagen zurück in Deutschland und ich erfahre eine Menge darüber, wieviel Party gemacht wurde zu Weihnachten, zu Silvester und überhaupt jeden Tag, da die Kids alle Ferien hatten. Wir trudeln pünktlich am ersten Schultag ein :-( Aber nun, es ging halt nicht eher und nach unserem ersten Plan wären wir sogar mit den anderen zusammen da gewesen. Was für ein heilloses Chaos aus schlafenden Menschen und durcheinander Gequassel auf Deutsch hätten wir erlebt!
Beim nächsten Mal planen wir aber doch besser um die Kids in ihren Ferien zu erwischen, vielleicht in der Zeit VOR Weihnachten. Aber das ist Zukunftsmusik, nun sind wir erstmal hier und todmüde. Wir stecken gleich im Berufsverkehr und ich bewundere all die neuen Autos auf den Strassen. Ich glaube, es gibt keine Automarke, die es hier nicht gibt, und gefühlte 85% aller Autos sehen aus, als wären sie keine 3 Jahre alt und würden täglich gewaschen.
Mein Onkel bestätigt meine Annahme stolz und berichtet von all den neuen Automarken und davon, was für ein Autofan sein kleiner Sohn inzwischen ist. Na toll, da hat Alex gleich jemanden zum quatschen *gg* Und tatsächlich sitzen die beiden gleich zusammen, hier liegen Top Gear-Zeitschriften und eine englischsprachige Ausgabe der Auto Bild. Wir stellen fest, dass der neue Skoda Octavia (unser Auto) hier "Laura" heißt aber das ist mir völlig egal. Ich trinke heißen süßen in Milch gekochten Tee, schnappe mir meinen Koffer und hustend werfe mich lang hin ins Bett und schlafe erstmal sechs Stunden.

Da es in Indien so gut wie keine Dämmerung gibt, ist es draussen schlagartig dunkel, als wir uns ins Getümmel stürzen wollen. Also schnappen wir uns eine Rikshaw zum Büro meiner Onkels Paul und Gul zur weiteren Abendplanung. Die beiden betreiben zusammen mit meiner Tante Sherry ein Reisebüro, und es brummt wie im Bienenkessel. Ich huste immer noch und Paul schleppt mich zum Doc direkt eine Tür weiter. Wir müssen vorn die Schuhe ausziehen und Paul und der Doc quatschen erstmal eine Runde. Dann werde ich abgehorcht, ein wenig ausgefragt, bekomme Komplimente, wie wenig ich nach 32 Jahren aussehe ("You look like 22 - sems to be the german/indian mixture") und am Ende gibt es noch ein handgeschriebenes Rezept für Tabletten und Hustensaft und zusätzlich ein Tütchen gefüllt mit vier verschiedenen Tabletten, kleine runde, große runde, längliche weiße und längliche gelbe. 2x am Tag von jedem eine, sagt er, dazu die anderen Pillen und den Hustensaft. Ach ja, und natürlich heute abend kein Akohol. Wir gehen direkt einen Laden weiter, kaufen die zusätzlichen Medikamente und zurück ins Büro. Dort bin ich die Zielscheibe für einige Späße - so nach dem Motto: Der weiß auch nicht genau, was hilft, deswegen gibt er 5 verschiedene Pillen, eine wird wohl helfen ... wir trinken Deinen Alkohol einfach mit etc.
Wer den Schaden hat ...
Weiter gehts zum Essen. Gul und Sherry sind Mitglieder in einem Club, der neben Sport und Entertainment wie Schwimmbad, Fitness, Kartenraum, Bibliothek, Tennis oder Tischtennis auch zwei Restaurants bietet. Wir werden eingetragen und entscheiden uns, draussen zu sitzen. Überall hängen groß die "No smoking" - Schilder, und ich überlege noch, wie mein deutscher Onkel wohl ertragen hat, auch in Indien nirgendwo ausserhalb der eigenen vier Wände rauchen zu dürfen *g* Meine Tante meinte jedoch, dass der Zigarettenqualm all die Moskitos in der Wohnung getötet hat, so hat das Ganze doch einen angenehmen Nebeneffekt :-)

Gul ordert Drinks (Whiskey straight für Alex, mit Soda für ihn selbst) und zahlreiche indische Starters, meistens mit Huhn und wir futtern alles brav. Dazu bekomme ich Unmengen von "Butter Naan", also weichen Brotfladen mit geschmolzener Butter und ich fühle mich gleich heimisch. Ich gestehe, ich könnte mich von Butter Naan ausschließlich ernähren ;) Mein Cousin Hersh kommt dazu, und beginnt gleich wie der Big Boss weitere Speisen zu ordern. Er lernt Hotel Management im College und fühlt sich sofort in seinem Metier, wenn er die Kellner herumscheucht *g*

Naresh schließt sich uns an, hat aber aufgrund seines hinduistischen Glaubens heute einen vegetarischen Tag. So kommen wir auch in den Genuss von sehr leckeren vegatarischen Speisen. Alex ist allerdings in erster Linie hin und weg von einer Sorte Hähnchen, leicht paniert in Maismehl und mit einer grünen Koriander-Chili-Sauce mit jeder Menge Knoblauchstückchen drin. Ich finds auch lecker, kann jedoch nicht soviel Knoblauch essen. Überhaupt verträgt Alex mehr Schärfe im Essen als ich und wieder mal amüsieren sich alle darüber ;)

Nach diversen doppelten Whiskeys wird schon das Licht auf der Terrasse ausgeschaltet und ich treibe das Grüppchen an, langsam mal nach Hause zu gehen. Eigentlich will ich direkt wieder ins Bett, aber Alex nimmt noch einige Whiskeys mit Naresh und ich gucke mit meiner Cousine Pinky (Spitzname) die Photos von der in Deutschland lebenden Cousine Jenny, bis ich knapp darüber einschlafe.

Photos: Wie immer gilt: Draufklicken, wenn ihr mehr sehen wollt!